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Umfragen vor und nach der Einführung von ChatGPT zeigen, dass die Skepsis gegenüber der Nutzung von KI steigt, doch für den Berufsalltag erhofft man sich grosse Entlastung. Dies schreibt Markus Christen, Geschäftsleiter der DSI, in der aktuellen Kolumne «DSI Insights».
Wie denkt die Schweiz über Künstliche Intelligenz? Um diese Frage zu beantworten, hat die Digital Society Initiative (DSI) der Universität Zürich im Februar 2022 und im August 2023 in Zusammenarbeit mit GFS Bern zwei Bevölkerungsumfragen zur Wahrnehmung und Akzeptanz von KI durchgeführt. Die Umfragen richteten sich an insgesamt 1’514 (Februar 2022) bzw. 1’613 (August 2023) Teilnehmende aus allen drei Sprachregionen. Die Daten wurden nach Alter, Bildung, Geschlecht, politischer Orientierung und Sprachregion gewichtet, um repräsentative Ergebnisse zu gewährleisten.
Digitale Kenntnisse und Fähigkeiten
Ein wichtiges Thema der Umfragen war die Bewertung der digitalen Kenntnisse und Fähigkeiten der Bevölkerung. Die Ergebnisse zeigten, dass rund ein Drittel der Bevölkerung nach wie vor über vergleichsweise geringe digitale Skills verfügt. Dieser Anteil hat sich im Zeitraum zwischen den beiden Umfragen nicht signifikant verändert. Dies deutet darauf hin, dass trotz der fortschreitenden Digitalisierung und der zunehmenden Bedeutung digitaler Kompetenzen in Beruf und Alltag, ein
bedeutender Teil der Bevölkerung Schwierigkeiten hat, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten.
Die 2023 gestellte Frage nach der Bekanntheit von ChatGPT – das breit genutzte Modell 3.5 wurde im November 2022 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt – bestätigt dieses Muster. Gut dreissig Prozent der Befragten gaben an, ChatGPT überhaupt nicht oder kaum zu kennen. Fast 38% der Befragten hatten ChatGPT allerdings bereits ausprobiert oder nutzten es gar regelmässig.
Akzeptanz und Kontrollmöglichkeiten von KI-Anwendungen
Ein weiteres Thema der Umfrage bildete die Beurteilung der Nutzung von KI für Entscheidungen von einer gewissen Tragweite, wobei viele dieser Beispiele bereits jetzt Realität sind oder es bald werden können. KI kann Diagnosen basierend auf medizinischen Daten erstellen und Informationen liefern, ob eine Therapie abgebrochen werden soll. In sozialen Netzwerken identifiziert sie Falschnachrichten. Im Personalwesen kann KI Kandidaten für Vorstellungsgespräche basierend auf deren Lebensläufen auswählen. Im Finanzsektor liefert sie Hinweise über die Vergabe von Hypotheken und die Höhe von Prämien für Haftpflichtversicherungen, basierend auf der Schadenshistorie einer Person. Darüber hinaus kann KI entscheiden, ob ein Häftling entlassen wird – basierend auf krimineller Vorgeschichte und Verhalten im Gefängnis.
Die Befragten konnten beurteilen, inwieweit sie es akzeptabel finden würden, dass KI tatsächlich solche Entscheidungen fällen würde und auf welche Weise dies durch Menschen kontrolliert werden soll. Die Kontrollmöglichkeiten reichten von einem völligen Verbot des Einsatzes von KI für den jeweiligen Fall, über KI als Berater, der Mensch als Prüfinstanz einer KI-Entscheidung bis hin zu einer autonomen Entscheidung durch KI. Nicht überraschend sinkt die Akzeptanz für KI-Entscheidungen, je gravierender der Entscheid in ein menschliches Leben eingreift – doch selbst im Fall «Häftlingsentlassung» waren 69% der befragten im Jahr 2022 noch der Ansicht, dass KI mindestens in beratender Form an der Entscheidung beteiligt sein sollte.
Mitte 2023 allerdings hat die Akzeptanz von KI in all diesen Szenarien abgenommen. Parallel dazu ist der Wunsch nach menschlicher Kontrolle gestiegen. Im genannten Fall «Häftlingsentlassung» etwa sank der Anteil der KI-Befürworter um mehr als 10% auf rund 58%. Besonders auffällig ist dieser Trend in der Westschweiz, wo sowohl die Skepsis gegenüber KI als auch die Forderung nach menschlicher Kontrolle von KI deutlich zugenommen haben. Dies könnte auf eine wachsende Bewusstheit und Sensibilisierung für die potenziellen Risiken und ethischen Herausforderungen der KI-Nutzung hinweisen – insbesondere in jenen Fällen, bei denen KI über für Menschen wichtige Dinge entscheidet.
Hohe Bereitschaft zur Abgabe von Arbeiten an KI
Heisst das nun aber, dass die Einführung von ChatGPT die Leute generell «KI-allergisch» gemacht hat? Dieser Schluss lässt sich nicht ziehen, wie weitere Resultate belegen. Als Ende 2022 ChatGPT in der breiten Öffentlichkeit rasant Verbreitung fand, wurde vielen erstmals klar, welches Potenzial in dieser Technologie steckt. Aus diesem Grund wurde in der Umfrage von Mitte 2023 auch gefragt, ob die Menschen bereit wären, Aufgaben an KI abzugeben. Hintergrund dieser Frage war, dass in der Forschung aktuell heisst diskutiert wird, ob durch die Abgabe intellektueller Fähigkeiten an KI diese Fähigkeiten beim Menschen selbst unterminiert werden könnten. So weiss man etwa, dass die intensive Nutzung von Navigations-Apps beim Menschen die Fähigkeit zur Orientierung im realen Raum beeinträchtigen kann.
Den Befragten wurden bei der Umfrage fünf berufliche Szenarien präsentiert, in denen sie entscheiden sollten, ob KI bestimmte Aufgaben übernehmen sollte. Diese Szenarien umfassten: die Automatisierung des Kundenkontakts (Telefon und E-Mail) bei einem Schreiner, die Programmierung einer Internetseite bei einem Webdesigner, die Recherche für einen Artikel bei einem Journalisten, die Erstellung von individuellen Lernaufgaben bei einer Lehrerin und die Komposition eines Musikstücks durch eine Musikerin.
Die Ergebnisse zeigten, dass fast drei Viertel der Befragten bereit wären, die Aufgaben von Lehrkräften, Webdesignern und Journalisten an KI abzugeben. Auch im Fall der Musikerin würden rund 47% die Aufgabe des Komponierens an die KI abgeben – nur der Schreiner fällt mit rund 38% ab. Interessanterweise ist dieser Anteil unter denjenigen, die selbst den Beruf Lehrer oder Webdesigner ausüben, nochmals deutlich höher – während jene, die tatsächlich Musiker oder Schreiner sind, erst recht KI-skeptisch sind. Dies könnte darauf hindeuten, dass Fachleute in diesen Bereichen die potenziellen Vorteile und Entlastungen durch KI besser einschätzen können. Bei Tätigkeiten, die mutmasslich eng mit dem Berufsethos der jeweiligen Profession verbunden sind (wie das Komponieren bei der Musikerin oder der Austausch mit den Kunden beim Schreiner), ist der Wunsch nach Abgabe von Arbeit an die KI deutlich kleiner.
Schliesslich zeigt sich ein deutlich anderes Bild, wenn es darum geht, ob die Befragten bereit wären, ihre Fähigkeiten durch die Abgabe an KI selbst zu verlieren. In solchen Fällen sinkt der Anteil der Zustimmung um jeweils mehr als die Hälfte. Dies unterstreicht die Bedeutung, die viele Menschen ihrer eigenen beruflichen Fähigkeiten beimessen.
KI ja, aber menschliche Kontrollen und Fähigkeiten bleiben wichtig
Die Ergebnisse der Umfragen zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung einerseits offen für den Einsatz von KI ist, andererseits aber auch einen starken Wunsch nach menschlicher Kontrolle hat. Besonders in kritischen und ethisch sensiblen Bereichen wird die Rolle des Menschen als unverzichtbar angesehen. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in der Bereitschaft wider, berufliche Aufgaben an KI abzugeben, solange die eigene Kontrolle und die Erhaltung der Fähigkeiten gewährleistet sind.
Markus Christen ist Geschäftsleiter der Digital Society Initiative (DSI) der Universität Zürich und forscht im Bereich digitale Ethik.
Dieser Text ist Teil der Kolumnen-Reihe «DSI Insights» auf Inside IT.
Alle publizierten Kolumnen finden Sie hier.